Wer eine Einladung zu einem Meeting erhält und noch viel Luft im Kalender hat, freut sich und sagt zu. Damit ist er an diesem Tag schon einmal gut beschäftigt. Er fühlt sich gebraucht und geschätzt. Über den Outlook-Kalender können das alle sehen, auch die Vorgesetzten. Wer einen vollen Outlook-Kalender hat, zeigt Vollbeschäftigung. Es hat Grund, gestresst zu sein und neue Aufgaben abzulehnen.
Wer Einladungen zu Meetings ausspricht, kann sich damit Freunde machen. Wer ein Meeting veranstaltet, braucht sich nicht wegen Untätigkeit zu rechtfertigen. Er tut ja etwas. Er veranstaltet ein Meeting. Das an sich ist schon etwas, das wird gesehen und wird allgemein als Engagement bei der Arbeit anerkannt. Ob das Meeting wirklich nötig ist, ob es wirklich so viel Zeit braucht, ob etwas Nützliches rauskommt, das weiterverwendet wird, das bleibt ungeprüft. Und selbst wenn, ist es nicht schlimm. Kommt beim Meeting nichts Nützliches beziehungsweise kommen keine Fortschritte raus, sind viele daran beteiligt gewesen, alle sind in irgendeiner Weise mitverantwortlich, und der Meeting-Veranstalter ist nicht haftbar.
Wer schon einen gut gefüllten Terminkalender aufzuweisen hat und schon voll ausgelastet ist, hat mit eintreffenden Meeting-Einladungen ein Problem. Denn wer eine Einladung ablehnt, kommt in Erklärungsnotstand. Er muss erklären, warum er nicht teilnehmen möchte. Das ist unangenehm und zeitraubend. Es ist bequemer und müheloser, einfach einmal zuzusagen. Zudem wird eine Einladung ablehnen als unfreundlicher, unkollegialer Akt empfunden. Damit macht man sich keine Freunde – ganz im Gegenteil: Wer sich einem Meeting entzieht, weil er keinen Sinn in seiner Teilnahme erkennt und gut zu tun hat, macht sich unbeliebt.
Meeting-Controlling
Für das Einberufen von Meetings bestehen üblicherweise keine Hürden. Jeder, der das tun will, kann das auch tun. Es ist üblich, dass niemand im Unternehmen ein Überblick darüber besitzt, welche Meetings wann mit wem wie lange stattgefunden haben. Für Meetings fliessen die Human Resources des Unternehmens einfach weg, sie verbrauchen sich von selbst. Es gibt keine Bilanzierung, keine Visualisierung und auch keine übergeordnete Planung oder Autorisierung von Meetings.
Deshalb fallen Überforderungen einzelner Mitarbeiter durch zu viele Meeting gar nicht auf. Es unterbleibt die Plausibilitätsprüfung, ob eine entstandene Meeting-Belastung überhaupt noch sinnvoll und tragbar ist. Wird da jemand verschlissen? Kann da überhaupt noch jemand sein normales Tagesgeschäft bewältigen? Ist der Grad an Fremdsteuerung durch Meeting-Termine vertretbar oder übertrieben? Wer ist für die Beantwortung dieser essenziellen Fragestellungen verantwortlich?
Alle beschriebenen Konstellationen und Defizite sind heute normal. Normal ist es auch, sie zu ignorieren und zu tolerieren. Dabei liegt hier ein gewaltiges Potenzial für eine Veränderung zum Besseren. Die Unternehmensführung muss sie nur erschliessen wollen.